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Kairos KP-FHR


SMR-2021, KP-FHR

Hinter der sperrigen Abkürzung KP-FHR (Kairos Power – Fluoride salt cooled High Temperature Reactor) verbindet sich ein eher neuartiges Konzept, das hohe Temperaturen anstrebt, aber dabei auf erprobte Komponenten setzen will: Die Kombination von TRISO Brennelementen mit Salzschmelze als Kühlmittel. Ursprünglich wollte man damit eine konventionelle Gasturbine antreiben, indem man Luft auf etwa 700 °C erhitzt und gegebenenfalls noch durch Verbrennung von Erdgas zur Abdeckung von Spitzenlasten weiter erhitzt. Für Kernreaktoren sollte damit ein neues Einsatzgebiet erschlossen werden. Für die Grundlast wäre weiterhin billige Kernenergie eingesetzt worden (Turbine läuft nur mit Luft) und zusätzliches Erdgas bei Lastspitzen (analog eines Nachbrenners bei Flugzeugen). Insgesamt wäre ein hoher Wirkungsgrad durch die erprobte Kombination von Gasturbine mit nachgeschaltetem Dampfkreislauf gewährleistet worden. Wie schon bei anderen Hochtemperaturreaktoren ist die Nutzung von Gasturbinen (vorläufig) gescheitert. Nunmehr geht man auch hier (vorläufig?) nur von einem konventionellen Dampfkreislauf aus. Allerdings mit höheren Dampfzuständen, wie sie in konventionellen Kohlekraftwerken üblich sind.

Der Stand der (finanziellen) Entwicklung

Kairos geht auf Forschungsprojekte an der University of California, Berkeley (UCB), dem Massachusetts Institute of Technology und der University of Wisconsin zurück. Alles unter der Koordination — und finanziellen Förderung — des U.S. Department of Energy im Rahmen eines Integrated Research Project (IRP). Wie so oft, entstehen aus solchen Forschungsprojekten neu gegründete Unternehmen, in denen die maßgeblich beteiligten „Forscher“ ihre Erkenntnisse kommerzialisieren. Selbstverständlich bleiben sie ihren alten Universitäten dabei eng verbunden. Im Falle von Kairos sind die Arbeiten nun soweit fortgeschritten, daß das „Energieministerium“ (schrittweise) einen Prototyp anstrebt. Es soll innerhalb von sieben Jahren der Demonstrationsreaktor „Hermes Reduced-Scale Test Reactor“ auf dem Gelände des East Tennessee Technology Park in Oak Ridge für geplant $ 629 realisiert werden. Das „Energieministerium“ hat dafür $ 303 Millionen Dollar fest in seinem Haushalt (verteilt über sieben Jahre) eingestellt. Das Geld wird fällig, wenn Kairos die andere Hälfte von privaten Investoren auftreibt. Dies ist ein in den USA erprobtes pragmatisches Förderungsmodell: Das Risiko wird hälftig von Investoren und Staat geteilt — gegenseitig wirkt die Zusage als Qualitätskriterium. Außerdem kann bei solchen Summen davon ausgegangen werden, daß die Entwicklung zielstrebig vorangetrieben wird. Die privaten Investoren lockt schließlich der wirtschaftliche Erfolg. Anders als in Deutschland, sind Gewinne in den USA nichts unanständiges.

Der Kugelhaufen

Die Kugeln für diesen Reaktor werden wahrscheinlich etwas kleiner (3 cm) als die üblichen TRISO-Elemente (4,3 cm) und enthalten rund 1,5 gr Uran verteilt in 4750 kleinsten mit einer Schutzschicht überzogenen Körnchen. Sie können damit über 11 000 kWh elektrische Energie produzieren, was etwa dem Verbrauch von 8 to Steinkohle oder 17 to Braunkohle entspricht. Wegen ihrer hohen Energiedichte sind diese Elemente nach ca. 1,4 Jahren abgebrannt und müssen ausgewechselt werden. In einem mit Helium gekühlten Hochtemperatur-Reaktor verbleiben die Kugeln etwa 2,5 Jahre und in Leichtwasserreaktoren rund drei Jahre.

Die Kugeln sollen einen etwas anderen Aufbau als klassische TRISO-Elemente haben: Der Kern besteht aus 25 mm porösem Graphit, umgeben von einer Kugelschale aus Brennstoffkörnern und einer äußeren Schutzschicht aus besonders widerstandfähigem Graphit. Die Brennstoffkörner haben einen Durchmesser von lediglich 400 Mikrometern und enthalten auf 19,75% angereichertes Uran. Die Geschwindigkeit mit der Spaltprodukte im Graphit wandern, hängt wesentlich von der Temperatur ab. Da die Betriebstemperatur hier mit 650°C deutlich geringer als beim AVR in Deutschland mit 950°C ist und die Verweilzeit der Kugeln kleiner, kann von einer wesentlich geringeren Verunreinigung des Kühlmittels — hier reaktionsfreudige Salzschmelze, damals Edelgas Helium — ausgegangen werden. Dies ist bei einem Reaktorunglück für die Freisetzung radioaktiver Stoffe in die Umwelt von ausschlaggebender Bedeutung. Die neutronenphysikalische Auslegung des Reaktors ist so angelegt, daß bei etwa 800°C Temperatur die Kettenreaktion ohne Eingriffe in sich zusammenbricht (stark negative Temperaturkoeffizienten). Man könnte also den Reaktor jederzeit verlassen, ohne ihn abzustellen. Demgegenüber sind die Brennelemente bei bis zu 1800°C ohne größere Schäden getestet worden. Der Siedepunkt der Salzschmelze liegt bei nur 1430°C. Dies ergibt zusammen eine wesentlich höhere Sicherheitsmarge als bei Leichtwasserreaktoren.

Das Kühlmittel

Bei diesem Reaktortyp wird weder mit Wasser noch mit Helium, sondern einem geschmolzenen Salz gekühlt. Dies stellt viele sicherheitstechnische Betrachtungen auf den Kopf: Nicht ein unzulässiges Verdampfen des Kühlmittels wird zum Problem, sondern das „Einfrieren“. Das hier verwendete „FLiBe-Salz“ hat einen Schmelzpunkt von 459°C, d. h. alle Komponenten müssen elektrisch beheizbar sein um den Reaktor überhaupt anfahren zu können. Außerdem muß unter allen Betriebszuständen und an allen Orten diese Temperatur sicher aufrecht erhalten bleiben, damit sich keine Ausscheidungen und Verstopfungen bilden. Andererseits ist diese Temperatur so hoch, daß Wartungs- und Inspektionsarbeiten schnell zu einem Problem werden.

Wesentliches Problem ist aber bei allen Salzschmelzen die Korrosion. Zwar hat man heute ein besseres Verständnis der Werkstofftechnik und jahrzehntelange Erfahrungen z. B. in Raffinerien, andererseits liegen aber immer noch keine Langzeiterfahrungen bei Kernreaktoren vor. Hier versucht man zumindest das Problem durch eine scharfe Trennung von Brennelement und Kühlmittel einzugrenzen. Bei einem Kernreaktor hat man es tatsächlich mit dem gesamten Periodensystem zu tun. Wie all diese Stoffe chemisch mit der Salzschmelze, den Reaktorwerkstoffen und untereinander reagieren, ist ein ingenieurtechnischer Albtraum. Deshalb versucht man hier ganz klassisch alle Spaltprodukte etc. im Brennelement zu halten. Andererseits geht man davon aus, daß die Diffusion von Cs137, Silber etc., die zu einem radioaktiven Staub bei mit Helium gekühlten Reaktoren führen, die den gesamten Reaktor verdrecken, besser beherrschbar ist, weil diese „Schadstoffe“ sofort im Salz gelöst werden.

FLiBe ist — wie der Name schon andeutet — ein Salz mit den Bestandteilen Fluor, Lithium und Beryllium. Die Arbeitsschutzvorschriften für Beryllium (Atemschutz, Schutzkleidung etc.), sind nicht kleiner als für radioaktive Stoffe — es ist nur schwerer zu erkennen. Besonders problematisch ist jedoch das Lithium. Lithium hat die unschöne Eigenschaft, daß es durch Neutronen Tritium bildet. Man kann zwar durch eine Anreicherung von Li7 auf 99,995% die Bildung erheblich verringern, aber nicht ausschließen. So bilden FLiBe-Reaktoren etwa 1000 bis 10 000 mal soviel Tritium wie Leichtwasserreaktoren. Dies kann zu grundsätzlichen Schwierigkeiten bei der Genehmigung führen. Auch bei diesem Problem wirkt sich die Trennung von Brennstoff und Kühlmittel positiv aus. Das Graphit zieht das Tritium an und absorbiert es an dessen Oberflächen. Deshalb sind zusätzlich noch Filterkatuschen in den Kühlmittelleitungen vorgesehen.

Der Zwischenkreislauf

Das FLiBe-Salz wird — unabhängig von eindiffundierten Spaltprodukten und Tritium — während seines Durchlaufs durch den Reaktorkern immer radioaktiv. Aus Fluor wird O19 (26,9s Halbwertszeit) und N16 (7,1s Halbwertszeit) gebildet. Beides γ-Strahler mit 1,4 MeV bzw. 6,1 MeV. Von ausschlaggebender Bedeutung ist F20 (11,0s Halbwertszeit). Hinzu kommen noch aktivierte Korrosionsprodukte. Um die Bereiche mit Strahlenschutz klein zu halten, ist ein Zwischenkreislauf mit „Sonnensalz“ vorgesehen. Als „solar salt“ bezeichnet man üblicherweise eine Mischung aus 60% Natriumnitrat NaNO3 und 40% Kaliumnitrat KNO3. Sie hat einen Schmelzpunkt von 240°C und eine maximale Temperatur von etwa 565°C. So ist z. B. im Solar-Turmkraftwerk „Solar One“ ein Spitzenlast-Speicher mit zwei Tanks in denen 1400 to Solar-Salz gelagert sind in Betrieb. Diese Anlage kann 107 MWhth speichern und erzeugt damit 11 MWel für drei Stunden. Damit ergibt sich ein weiteres Anwendungsfeld: Bei entsprechender Auslegung der Turbine kann ein solcher SMR auch zur Abdeckung von Lastspitzen im Netz bzw. zur Auskopplung von Wärme für industrielle Zwecke eingesetzt werden.

Der Reaktorkern

Eine weitere Besonderheit gegenüber mit Helium gekühlten Reaktoren ist, daß die Brennstoffkugeln im Reaktor schwimmen. Sie werden deshalb von unten zugeführt und oben wieder abgefischt. Insbesondere die „Abfischmaschine“ ist noch nicht im Detail konstruiert. Sie muß den Reaktor nach oben sicher abdichten, die Kugeln einfangen, transportieren, reinigen und überprüfen — das alles beständig bei 650°C. Für 100 MWel sind etwa 440 000 Brennstoffkugeln (TRISO) und 204 000 Moderatorkugeln (aus reinem Graphit) im Reaktor. Jede Brennstoffkugel durchläuft etwa 8 mal den Reaktor und verbleibt bei voller Leistung rund 1,4 Jahre im Reaktor, bis sie abgebrannt ist (gemeint ist damit, bis das in ihr vorhandene Uran gespalten ist, die Kugel erscheint unverändert). Jede Kugel braucht ungefähr 60 Tage auf ihrem Weg von unten nach oben. Nach dem Abfischen verbleibt sie noch 4 Tage zur Abkühlung, bis sie wieder zurückgeführt wird. Bei voller Leistung müssen etwa 450 Kugeln pro Stunde entnommen und überprüft werden, das ergibt ungefähr 8 Sekunden pro Vorgang. Jeden Tag sind rund 920 Kugeln verbraucht und müssen durch frische ersetzt werden. Für eine vollständige Entleerung ist ein „Schnellgang“ vorgesehen, der etwa 3600 Kugel pro Stunde entnimmt. Abgesehen von Wartungsarbeiten könnte somit der Reaktor kontinuierlich in Betrieb bleiben.

Der Reaktor ist im Wesentlichen ein Zylinder von etwa 3,5 m Durchmesser und 12 m Höhe mit einer Wandstärke von 4 bis 6 cm. Der Kern — die eigentliche Wärmequelle — ist wesentlich kleiner. Er besteht aus einem Doppel-Hohlzylinder. In dessen innerem Ring schwimmen die Brennstoffkugeln, in seinem äußeren Ringraum die Moderatorkugeln. Der Innenraum ist gefüllt mit einem Reflektor aus Graphit in dem sich auch die Regelstäbe befinden. Der gesamte Einbau ist durch Graphitblöcke von dem Reaktortank isoliert. Genau diese festen Einbauten aus Graphit sind eine bekannte Schwachstelle bei all diesen Reaktortypen. Sie sind z. B. auch der Tod der britischen AGR-Reaktoren. Unter ständigem Neutronenbeschuss altert der Graphit. Heute hat man zwar ein besseres Verständnis der Vorgänge — gleichwohl bleibt die Lebensdauer begrenzt. Hier ist deshalb vorgesehen, irgendwann die Graphiteinbauten zu erneuern. Ob das dann wirtschaftlich ist, wird sich zeigen. Im Prinzip sind die Graphit-Volumina aus einzelnen Blöcken zusammengesetzt. Diese besitzen aber wegen der nötigen Einbauten, Kanäle fürs Salz etc. und der zu berücksichtigenden Wärmedehnung eine komplizierte Geometrie und erfordern sehr enge Fertigungstoleranzen. Aber es ist ja der Sinn von SMR, all diese Arbeiten in einer Fabrik und nicht auf der Baustelle auszuführen.

Werkstoffe

Alle Hochtemperaturreaktoren tragen das gleiche Problem in sich, die hohen Temperaturen. Mit der Temperatur steigen die Probleme (z B. Zeitstandsfestigkeit, Korrosion) und damit die Kosten exponentiell an. Wäre dies nicht so, hätte man bereits fossile Kraftwerke mit ganz anderen Wirkungsgraden. Es stellt sich deshalb immer die Frage, wofür man überhaupt so hohe Temperaturen braucht. Hier beschränkt man sich bewußt auf eine Spanne von 550°C bis 650°C um nicht vollständig konventionelle Werkstoffe verlassen zu müssen. Man darf ja nicht vergessen, daß alles genehmigungsfähig — d. h. berechenbar und durch Versuche nachweisbar — sein muß. Hierin liegt ja gerade der Charme von Salzschmelzen: Nicht so hohe Temperaturen ohne zusätzliche Druckprobleme, bei hoher Wärmespeicherung. Geplant ist weitesgehend SS 316 (handelsüblicher austenitischer Edelstahl) zu verwenden.

Ein wesentliches Problem aller FLiBe-Reaktoren ist die hohe Tritiumproduktion. Über den Daumen gerechnet, produziert dieser kleine SMR (100 MWel) jeden Tag soviel Tritium, wie ein Leichtwasserreaktor (1000 MWel) in einem ganzen Jahr. Will man auf gleiche Werte kommen, müßte also 99,9% des Tritium zurückgehalten werden. Man setzt hier auf die Absorption am Graphit. Das ändert aber nichts daran, daß Tritium bei solchen Temperaturen sehr gut durch Stahl hindurch diffundiert. Bisher hat man gute Erfahrung mit einer Beschichtung aller Rohrleitungen mit Aluminiumoxid gemacht. Es bildet eine Sperrschicht, die sogar beim Kontakt mit Luft selbstheilend ist. Gleichwohl ist hier noch viel Forschung nötig, wenn man die Aufregung um das Tanklager in Fukushima berücksichtigt. Es könnte sich sonst eine (politisch) unüberwindliche Hürde für die Genehmigung von FLiBe-Reaktoren ergeben.

Einschätzung

Kairos ist ein „Startup“ mit dem Selbstverständnis eines Ingenieurunternehmens. Sie haben nicht vor, jemals einen solchen SMR selbst zu fertigen. Von Anfang an haben sie starke Partner mit ins Boot geholt. So übernimmt Materion die Entwicklung und Herstellung des FLiBe-Salzes und BWXT die Produktion der Brennelemente. Für den kritischen Bereich „Tritium“ sind seit September 2020 die Canadian Nuclear Laboratories (CNL) eingestiegen. Kanada hat mit Tritium große und jahrzehntelange Erfahrungen durch den Betrieb seiner Candu-Reaktoren. Darüberhinaus will Kanada einen SMR in Chalk River bauen. Kairos ist dafür in die engere Wahl gekommen. Das Genehmigungsverfahren (stark unterschiedlich zu den USA) wird von der kanadischen Regierung mit mehreren Millionen gefördert. Seit 2018 läuft das Genehmigungsverfahren in den USA. Nächster Schritt wird der Bau eines kleinen Demonstrationsreaktors im East Tennessee Technology Park (ETTP) in Oak Ridge, Tennessee. Hier geht es vor allem darum, die Kosten für die Serienproduktion modellhaft zu testen.

Es dürften keine „Killer-Kriterien“ mehr im Genehmigungsverfahren auftreten. Dafür liegen zu viele Forschungsergebnisse aus mehreren Jahrzehnten vor. Besonders traurig ist, daß selbst im Genehmigungsverfahren auf die Betriebsergebnisse des AVR in Jülich zurückgegriffen wird. Deutschland hätte sicherlich auch heute noch ein geschätzter Partner sein können, wenn nicht wahnsinnige Laiendarsteller den Weg zurück ins Mittelalter propagiert hätten.

Dieser Beitrag wurde zuerst am 21.03.2021 veröffentlicht.