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KKW für die Türkei


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Türkei, wer denkt da nicht an Sonne bis zum Abwinken oder Segelurlaub im Mittelmeer? Wahrscheinlich haben unsere Politiker ein wenig geträumt, als sie in ihrer unendlichen Weisheit den Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen haben. Sollte Deutschland nicht vorangehen, damit uns die anderen folgen können? Nun, die Türkei als Schwellenland ist offensichtlich nicht bereit, in die Abgründe der „Energiewende“ abzutauchen. Am 3. Mai wurde auf höchster Ebene ein Abkommen zwischen Japan, Frankreich und der Türkei zum Bau und Betrieb von vier Kernreaktoren (Typ ATMEA1 mit je 1200 MWel) in Sinop an der Schwarzmeerküste geschlossen. Der erste Reaktor soll 2023 und der vierte 2028 den Betrieb aufnehmen. Errichtet wird das Kraftwerk von Mitsubishi Heavy Industries und betrieben von einem Konsortium aus GDF Suez (geplant 75% Anteil) und dem staatlichen Energieversorger Turkish Electricity Generation Corporation (geplant 20 bis 45% Anteil). Ganz neben bei, ist das der erste Auftrag über einen Neubau eines Kernkraftwerks für ein japanisches Unternehmen nach dem Fukushima Desaster. Auftragswert 22 Milliarden US$. Dafür müssten die Sonnenmännchen eine ganze Menge Windmühlen oder Sonnenkollektoren verkaufen. Macht aber nix, der Deutsche Michel wird weiterhin fest an die Schaffung von Arbeitsplätzen durch Wind und Sonne glauben.

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Begonnen hat das türkische Kernenergieprogramm im Mai 2010 mit dem Auftrag für vier Gidropress AES-2006 Reaktoren (mit je 1200 MWel) in Akkuyu am Mittelmeer. Mit der Baustellenvorbereitung wurde bereits begonnen und der offizielle Baubeginn ist für Ende 2013 vorgesehen. Das Kraftwerk soll 2019-2022 in Betrieb gehen. Ganz interessant ist das Finanzierungsmodell: Das Kraftwerk wird schlüsselfertig und zum Festpreis (über 15 Milliarden EUR) von Rosatom für eine Zweckgesellschaft errichtet. In dieser Zweckgesellschaft besitzt Rosatom mit 51% die Mehrheit. Bis zu 49% sollen von türkischen Gesellschaften gehalten werden. Diese Gesellschaft übernimmt für 60 Jahre den Betrieb des Kraftwerks. Zur Refinanzierung der langfristigen russischen Investitionen garantiert die Turkish Electricity Trade and Contract Corporation (TETAS) die Abnahme von 70% der Stromproduktion der Blöcke 1 und 2 und 30% der Produktion der Blöcke 3 und 4 zu einem garantierten Festpreis von 12,35 US-Cent pro kWh über 15 Jahre. Der Rest soll frei am Markt verkauft werden. Bei diesem Modell wird die Kreditlinie der Türkei kaum belastet, da Russland maßgeblich die Finanzierung übernimmt. Für Russland stellt sich die Investition wie eine langfristige Anleihe mit stetigem Zahlungsstrom aus der Türkei dar. Gleichzeitig ergibt sich jedoch eine enge unternehmerische Verknüpfung beider Länder. Anders — als beim deutschen EEG-Modell — wird nicht die volle Energiemenge über die gesamte Lebenszeit, zu einem Festpreis garantiert abgenommen, sondern lediglich eine (auch noch abnehmende) Teilmenge. Der Betreiber muß sich von Anfang an, an dem üblichen Risiko von Absatzmenge und erzielbaren Preisen beteiligen. Andererseits hat er aber auch die Chance auf zusätzlichen Erfolg.

Darüber hinaus, kann die Türkei „sanft“ in eine neue Zukunftstechnologie hineinwachsen. Zu diesem Konzept passt auch die Vergabe des ersten Kraftwerks an den (ehemaligen) „Ostblock“ und die Vergabe des zweiten Kraftwerks an den „Westen“. So kann von beiden Denkschulen der Kerntechnik gelernt werden. Ausdrücklich gewünscht, ist die Entwicklung des bereits geplanten dritten Kraftwerks (ab etwa 2020) durch türkische Ingenieurbüros. Das Modell erscheint ein wenig als Kopie des koreanischen Wegs. Bedenkt man das Selbstverständnis der Türkei als Beispiel für einen modernen islamischen Staat mit Vorbildfunktion, erscheint das durchaus nicht abwegig. Jedenfalls kann man die Türkei nicht als technikfeindlich bezeichnen. Sie hat klar die Bedeutung der Kerntechnik als Triebfeder einer modernen Industriegesellschaft erkannt. Die Beschäftigung mit „angepasster Technologie“ (so hieß Sonne, Wind und Bio noch vor 20 Jahren) überlässt man getrost saturierten Gesellschaften wie Deutschland.

Randbedingungen

Was treibt die Türkei zum Bau von zwölf Reaktoren? Die Frage ist recht leicht zu beantworten: Der Energiehunger eines aufstrebenden Landes. Im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts betrug das jährliche Wirtschaftswachstum etwa sechs Prozent. Durch die zunehmende Industrialisierung und den wachsenden Wohlstand hat sich der pro Kopf Verbrauch an elektrischer Energie fast verdoppelt. Es ist das Dilemma aller Schwellenländer: Ohne ausreichend elektrische Energie, kein angestrebtes Wirtschaftswachstum; durch den dringend benötigten steigenden Wohlstand eine zusätzlich angeheizte Nachfrage nach Energie. Dagegen ist ein Rückgang im Primärenergieverbrauch ein typisches Anzeichen stagnierender Volkswirtschaften. Man kann es zwar politisch korrekt als „Energieeffizienz“ verbrämen, aber am Ende ist es nichts anderes als Wohlstandsverlust.

Für die Türkei stellt sich daher die gleiche Frage, wie für China, Brasilien etc.: Wie kann der zusätzliche Energiebedarf kostengünstig gedeckt werden? Öl und Gas sind bereits heute sehr teuer und für eine Stromerzeugung schlicht weg zu schade. Ihr Verbrauch wird durch zunehmenden Verkehr und Industrialisierung ohnehin weiter ansteigen. Eher muß der Mehrverbrauch in diesen Sektoren durch elektrische Energie ersetzt werden. Letztendlich bleibt nur Kohle und Kernenergie. Will man Kohle umweltfreundlich verstromen, wird dies sehr viel teurer, wie man auch dies hervorragend in Deutschland studieren kann.

In allen Mittelmeerländern kommt mit steigendem Wohlstand und steigenden Bevölkerungszahlen noch ein weiteres Problem hinzu: Ausreichend Süßwasser für Mensch, Landwirtschaft und Industrie. Als Ausweg bleibt nur die Meerwasserentsalzung, die aber viel (billige) Energie benötigt. Man kann es deshalb drehen und wenden wie man will: Der Bau von zwölf Reaktoren allein in der Türkei, erscheint sehr sinnvoll — um nicht zu sagen alternativlos.

Dieser Beitrag wurde zuerst am 28.05.2013 veröffentlicht.