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Marschflugkörper SCC-X-9


Tschernobyl, Nyonoksa…

Am 8.August gab es in Nyonoksa wieder einmal ein Nuklearunglück mit (wahrscheinlich) acht Toten. Knapp einen Monat nach einem Brand auf einem Atom-U-Boot, bei dem 14 Besatzungsmitglieder starben. Zum Glück ist diesmal die Freisetzung von radioaktiven Stoffen nicht so groß wie in Tschernobyl — alles andere jedoch — wie gehabt: Geheimniskrämerei, nur Dinge zugeben die bereits in „West-Medien“ veröffentlicht sind und Täuschung durch Falschinformationen. Trotzdem soll hier versucht werden etwas Licht ins Dunkel zu bringen.

Übereinstimmend wird von einem Anstieg der γ-Strahlung in Severodvinsk am 8.8.2019 in der Zeit von 11:50 bis 12:30 (lokal) auf 2 μSv/h berichtet. Sie soll gegen 16:00 wieder auf ihren Normalwert zurückgegangen sein. Greenpeace spricht von einer Erhöhung auf das 20-fache des Normalwerts. Es gibt keine näheren Angaben über die Isotopenzusammensetzung oder die genauen Ausbreitungsverhältnisse. Severodvinsk ist eine Großstadt mit ca. 185 000 Einwohnern, 45 km westlich von dem militärischen Versuchsgelände in Nyonoksa. Anders als noch in Tschernobyl ist dort die Bevölkerung sensibilisiert (zwei Marinewerften auf denen auch Atom-U-Boote gewartet werden) und vorbereitet (private „Geigerzähler“ etc.). Gleichwohl verbreiteten die Nachrichten Angst und Schrecken unter der Bevölkerung. Insbesondere der Transport der Verletzten und Toten durch Hilfskräfte unter Vollschutzkleidung. So wird z. B. von Panikkäufen von „Jodtabletten“ aus den Apotheken der Stadt berichtet. Ganz offiziell wurde für die Dvina Bay das Schwimmen und Fischen „wegen giftigem Raketentreibstoff Heptyl“ für einen Monat untersagt. Es ist mal wieder das typische Verhalten russischer Regierungen: Geheimniskrämerei und Halbwahrheiten, die das Vertrauen der eigenen Bevölkerung untergraben. Leider muß man auch diesmal wieder dem „Westen“ eine gewisse Komplizenschaft unterstellen. Westliche Geheimdienste wissen über das Geschehen viel mehr, als sie bereit sind zu veröffentlichen. Hat sich doch dieser Murks nur 300 km entfernt von der finnischen Grenze ereignet. Es ist offensichtlich nach wie vor die Forderung von Edward Teller aus den 1980er Jahren richtig, alle Geheimdiensterkenntnisse öffentlich zu machen. Manch einem gutgläubigen „Putin-Versteher“ würde sicherlich hören und sehen vergehen. So ging schon 2015 ein Test auf dem gleichen Versuchsgelände in Nyonoksa schief: Die Kontrolle über einen Marschflugkörper ging verloren und dieser raste in ein Wohngebäude. Aber die Unglücksserie reist nicht ab: In Sibirien ging im gleichen Zeitraum ein Munitionslager hoch — mit umfangreicher Zerstörung in der Umgebung. Man stelle sich nur mal vor, die Bundeswehr oder das US-Militär hätte eine solche Pannenserie mit so vielen Toten und so viel Umweltverschmutzung in nur einem einzigen Monat. Zumindest das Staatsfernsehen könnte sich vor lauter Sondersendungen mit „Atomexperten“ gar nicht wieder einkriegen. Aber schon meine Mutter sagte: Wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht das Selbe.

Übereinstimmend wird berichtet, bei dem Unglück (es fällt mir schwer, so etwas noch als Unglück zu bezeichnen) handelt es sich um einen Fehlstart eines Burevestnik (Nato Bezeichnung: Skyfall) Marschflugkörpers mit einem Kernreaktor als Antrieb. Bisher gab es 13 Tests, die — bis auf einen — alle beim Start explodiert sind. Gleichwohl protze Putin in einer Fernsehsendung mit einem Video seiner Wunderwaffe und verkündete, daß diese noch dieses Jahr an die U-Bootflotte übergeben werden sollte. Hoffentlich nicht, denn dann wäre ein zweiter Fall Kursk vorprogrammiert. Damals war auch ein neuartiger „Wundertorpedo“ Ursache für den grausamen Tod der Besatzung. Nichtsdestotrotz schwelgte Putin in seiner Fernsehshow von der Überlegenheit dieses Marschflugkörpers, der locker um die Welt fliegen kann und jede „Raketenabwehr“ austrickst. Glaubt dieser „Führer“ tatsächlich, daß seine Untertanen solchen Blödsinn glauben?

Was man bisher sagen kann

Wir leben heute im „internet-Zeitalter“. Wenn man den Arbeitsaufwand nicht scheut, kann man eine Menge Fakten zusammentragen. Es gibt auch in Rußland Menschen, die ungewöhnliche Dinge in ihrer Umgebung mit der Kamera festhalten, ihre Kenntnisse weiterleiten und nicht zuletzt private Umweltschützer, die akribisch frei zugängliche Satellitenaufnahmen auswerten, usw. usw. Nur Öffentlichkeit kann die Putins dieser Welt zwingen, die Karten auf zu decken:

  • Ort Am 8. August 2019, gegen 9:00 Ortszeit gab es eine heftige Explosion nahe der Stadt Nyonoksa, einer Hafenstadt an der Dvina Bucht, etwa 20 km (45 Straßenkilometer) von der Schiffbaustadt Severodvinsk entfernt. Nyonoksa ist seit Jahrzehnten ein Testgelände für Marineraketen einschließlich auch Interkontinentalraketen (ICBMs). Der Luftraum war großräumig in der Zeit vom 8.-11. August gesperrt (NOTAM).
  • Installation Satellitenbilder zeigen, daß der Versuch auf einem Ponton, etwa 4 km vor der Küste statt fand. Die Bevölkerung wurde vor Trümmerteilen am Strand gewarnt. Warum der Test nicht in den vorhandenen Anlagen an Land ausgeführt wurde ist unbekannt.
  • SEREBRYANKA ist ein Spezialschiff für die Bergung und den Transport von radioaktiven Abfällen. Es befand sich auf Reede in der Nähe des Pontons und kam unmittelbar nach dem Vorfall zur Hilfe. Dieses Schiff wurde auch schon bei den Tests auf Novaya Zemlya beobachtet.
  • Messungen Zufällig(?) stellten die Überwachungsanlagen der CTBTO (Comprehensive Nuclear Test Ban Treaty Organization) in Dubna, Kirov, Bilibino und Zalesovo wegen angeblicher technischer Schwierigkeiten die Datenübermittlung während des Tests ein. Ein norwegisches Forschungsinstitut geht sogar von zwei Explosionen (eine unter Wasser und eine oberhalb) aus. Das Norsar Research Institute unterhält eigene Seismographen und Infraschallstationen in Skandinavien.
  • Opfer Offiziell hat es acht Tote gegeben. Drei Soldaten und fünf Techniker von Rosatom (Alexei Vyushin, Evgeny Koratayev, Vyacheslav Lipshev, Sergei Pichugin und Vladislav Yanovsky).
  • Strahlung Es sind zahlreiche Meßwerte aus verschiedenen Orten vorhanden. Sowohl offizielle (Regionalbehörden, Meteorologische Stationen etc.), aber auch von Bürgern und Umweltschutzorganisationen. Alle sind bemerkenswert übereinstimmend. Man kann wohl mit ziemlicher Sicherheit sagen, daß keine Gefahr für die Bevölkerung besteht (Kurzzeitig bis 20-fach der Hintergrundstrahlung). Das medizinische Personal wurde nicht über die radioaktive Belastung der Verletzten informiert. Nachdem Ärzte aus den Krankenhäusern massiv Kritik äußerten, bot der Gesundheitsminister kostenlose Untersuchungen in einer Spezialklinik in Moskau an. Bei einem Arzt wurde dort eine Inkorporation von Caesium-137 festgestellt. Die Opfer wurden unter Schutzkleidung nach Moskau transportiert. Dies ist durch zahlreiche Bilder und „Handy-Filme“ dokumentiert. Eine Woche nach dem Vorfall registrierten Luftmeßstationen in Norwegen Spuren von Jod.
  • Testreihe Der aktuelle Versuch hat nach Valentin Kostyukov, Leiter des Forschungszentrums von Rosatom, eine „intensive Vorbereitung“ von mehr als einem Jahr erfordert. Nach Angaben aus den USA ist dies die 14. Versuchsreihe. Nur zwei waren teilweise erfolgreich. Bisher wurden die Versuche überwiegend auf dem alten Kernwaffentestgelände in Novaya Zemlya durchgeführt. In diesem ohnehin hoch belasteten Gebiet konnte man ungestört weiter rumsauen. Eine Erklärung für die Verlegung in bewohnte Gebiete weiter südlich, dürfte die routinemäßige Überwachung durch Seeaufklärer sein, die nach Spuren von Kernwaffentests suchen.

Marschflugkörper oder Rakete

Marschflugkörper sind technisch betrachtet Flugzeuge. Wegen der kleinen Tragflächen brauchen sie eine hohe Mindestgeschwindigkeit um den notwendigen Auftrieb zu erzeugen. Werden sie aus einem Starter (Schiff oder LKW) abgeschossen, benötigen sie eine zusätzliche Raketenstufe um erstmal ihre Mindestgeschwindigkeit erreichen zu können. Genau diese scheint bereits explodiert zu sein (Warnung vor Heptyl in der Bucht). Fliegt so eine cruise missile erstmal, kann sie trotz ihres kleinen Triebwerks und Treibstoffvorrats mehrere tausend Kilometer entfernte Ziele treffen. Der Witz dabei ist, daß sie dabei möglichst tief fliegt um unter gegnerischem Radar hindurch zu tauchen und dabei stets ihre Richtung ändert. Ihr Vorteil liegt also in ihrer schweren Entdeckbarkeit. Ist sie erstmal entdeckt, kann sie wegen ihrer relativ geringen Geschwindigkeit leicht abgeschossen werden.

Anders verhält es sich mit ballistischen Raketen. Je weiter sie fliegen sollen, um so höher müssen sie aufsteigen. Sie sind dadurch leicht aus großer Entfernung auszumachen. Ihre Flugbahn ist gut vorhersehbar und sie können trotz ihrer hohen Geschwindigkeit relativ treffsicher abgeschossen werden.

Marschflugkörper mit Kernreaktor

Die Idee einen Marschflugkörper mit Kernreaktor zu bauen, ist nicht nur verbrecherisch, sondern auch ziemlich idiotisch. Man diskutiert immer wieder den Einsatz von Kernreaktoren im Weltraum. Allerdings ist man sich darüber einig, solche Reaktoren erst in Betrieb zu nehmen, wenn sie sicher in der Umlaufbahn angekommen sind. Ab dem Moment, wo sie kritisch werden, produzieren sie nämlich Spaltprodukte und Neutronen in großer Zahl. Ein Marschflugkörper, angetrieben durch einen Kernreaktor, ist also fliegender Atommüll. Schon jeder Testflug ist damit vorsätzliche Umweltverschmutzung. Der einzig gelungene Testflug der Burevestik endete im Polarmeer. Bisher wurden die Reste noch nicht erfolgreich geborgen. Wer solch einen Nachbarn wie Rußland hat, braucht keine Feinde mehr.

Der militärische Nutzen scheint äußerst fragwürdig. Man kann zwar in einem Staustrahltriebwerk die Brennkammer durch einen Reaktor ersetzen, gewinnt dadurch aber nicht viel. Was will man mit einem Marschflugkörper, der um die Welt fliegt oder ewig im Zielgebiet kreist. Je länger er unterwegs ist, je größer die Wahrscheinlichkeit entdeckt zu werden. Aufgrund des schlechten Wirkungsgrades eines Staustrahltriebwerks bei der geringen Geschwindigkeit eines Marschflugkörpers würde er wie ein Stern leuchten. Seine Abstrahlung ist leicht mit Standardmitteln völlig passiv zu orten. Hinzu kommt noch die hinterlassene Spur seiner ionisierenden Strahlung. Er wäre für jede F-35 auf Patrouille ein leichtes Opfer. Um was geht es also wirklich bei diesen Tests in Nyonoksa? Die Frage stellt sich um so mehr, da die USA schon in den 1950er Jahren ein ähnliches Projekt — SLAM (Supersonic Low Altitude Missile), auch „The Big Stick“ genannt — verfolgt und aufgegeben haben.

Putins Politikverständnis

Kaum ein Politiker versucht die Menschen so dreist für dumm zu verkaufen. Das Verhaltensschema ist spätestens seit der Annektion der Krim bekannt: Erst heißt es, Uniformen und Waffen könnte man in jedem Militaria-Shop kaufen, dann sind es Soldaten, die ihren Urlaub nutzen und darauf hätte er natürlich keinen Einfluß um nach erfolgreicher Aktion, ganz offiziell die Truppen zu ehren. Immer, wenn schon Bilder durch die Welt gehen, Dementis auf dem Niveau eines Knaben, der beim Kirschen klauen auf frischer Tat ertappt wurde. Ist die Aktion in seinem Sinne erfolgreich verlaufen, war es natürlich seinem langfristigen Plan zu verdanken. Schuld sind von Anfang an die anderen, er war ja nur gezwungen zu reagieren, um die Ehre seines Rußland zu retten.

Mit bekannter Unverfrorenheit reicht er genau jetzt eine Resolution im Sicherheitsrat gegen die USA ein, wegen der nicht Verlängerung des INF-Vertrages und eines nuklearen Wettrüstens. Das alles, nachdem er seit Jahren an einem Marschflugkörper mit Kernreaktor rummurksen läßt. Was wäre denn gewesen, wenn der Test erfolgreich gewesen wäre? Noch letztes Jahr hat er doch — in einer eher peinlichen Fernsehshow — genau dieses Teufelsding als Wunderwaffe gepriesen, mit dem sein Rußland (Nigeria with Nukes) einen Vorsprung von Jahrzehnten hätte. In was eigentlich, in Umweltzerstörung? Welchem sozialistischen Modell eifert er
nach? Der Volksrepublik China wohl eher nicht, die inzwischen die Welt mit Autos, Computern und Mobiltelefonen überhäuft, sondern wohl eher dem Hungerkommunismus Nordkoreas. Man sollte erwarten, daß er durch die Politik von Ronald Reagen und dem Zusammenbruch des Sowjetreiches etwas gelernt hat: Steigen die USA auf seine nuklearen Fieberträume ein, reicht all sein Öl und Gas nicht aus. Was aber soll dann China machen? Seelenruhig zuschauen wohl kaum. Wenn es jetzt nicht gelingt Putin zu stoppen, wird eine weltweite nukleare Rüstungsspirale ausgelöst, gegen die der kalte Krieg nur ein Kindergeburtstag war. An irren Ideen mangelt es nicht, man muß sich nur Russlands derzeitige (nukleare) Aufrüstung anschauen.

Die Rolle von Rosatom

Besonders beängstigend in diesem Sinne ist die zivile und militärische Verknüpfung der Kerntechnik in Rußland. Fünf der acht Todesopfer waren Techniker von Rosatom. Sie wurden bereits am 12. August in Sarov, 400 km östlich von Moskau, mit militärischen Ehren beigesetzt. Sarov mit über 90 000 Einwohnern ist bis heute noch eine „geschlossene Stadt“ (d. h. Zutritt nur mit Sondererlaubnis). Größter Arbeitgeber ist nach wie vor das Forschungslabor von Rosatom. Es besteht seit 1947 und in ihm wurde z. B. die größte Kernwaffe (Zar-Bombe) aller Zeiten gebaut. Heute ist man stolz, auch Kernbrennstoffe für zivile Reaktoren herzustellen. Liegt in dieser engen örtlichen und personellen Verknüpfung an verschiedenen Standorten der Grund für die Exporterfolge von russischen Kernkraftwerken in Iran, China, Indien, Türkei, Ägypten usw.? Geht es dabei wirklich nur um elektrische Energie? Schauen wir mal, wie problemlos die Kooperation in Finnland läuft. Die Finnen haben mit Sicherheit kein Interesse an Kernwaffen, sind aber nicht bereit, irgendwelche Kompromisse in Sicherheit und Qualität einzugehen. Dieser Exporterfolg könnte noch richtig teuer für Rußland werden.

Die Rolle unserer „Atomkraftgegner“

Alle, die immer noch glauben, bei den Grünen und Greenpeace ginge es nur um die Gefahr und Angst vor Strahlung, müssen sich doch langsam wundern, warum nun eine solche Stille in diesem Lager herrscht. Frau Sylvia Kotting-Uhl z. B., die sich von jedem Castor-Behälter bedroht fühlt und um die Asse nicht in den Schlaf kommt, fühlt sich etwa nicht durch fliegenden Atommüll gefährdet? Der Genosse Trittin, der jedes „AKW“ bekämpft hat und heute die Rücklagen für den „Atommüll“ mit verwaltet, findet die Versenkung von ausgebrannten Kernreaktoren im Polarmeer tatsächlich in Ordnung? Das kann doch wohl nicht sein. Eine intensive Nachfrage bei jedem Auftauchen dieser Herrschaften und ihrer Parteigenossen scheint deshalb dringend angeraten. Oder sollte es wirklich böse kapitalistische und gute sozialistische Strahlung geben? Kardinal Marx und der EKD-Ratsvorsitzende Bedford-Strom als berufliche Moralisten sollten ihre geliebte Kanzlerin schnellstens auffordern, eine weitere Kommission einzusetzen. Nicht zuletzt alle Naiven, die glauben Kernenergie ist gut fürs Klima (weil doch so „CO2-arm“), werden spätestens dann merken wo die Reise hingeht, wenn Kanzler Habeck den Mantel der Geschichte ergriffen hat.

Dieser Beitrag wurde zuerst am 21.08.2019 veröffentlicht.