Kleinreaktoren
Bei allen Kraftwerken ist eine ausgeprägte Kostendegression mit zunehmender Leistung vorhanden — egal ob der Brennstoff Kohle, Gas, Uran oder sonst irgendetwas ist. Selbst bei Windmühlen gibt es einen Trend zu immer größeren Anlagen. Stark vereinfachend kann man sagen, es ist immer billiger, eine große Turbine als viele kleine zu bauen. Auch im Betrieb ergeben sich klare Vorteile: Meist wird weniger Personal und Wartungsaufwand benötigt und die Physik sorgt für bessere Wirkungsgrade.
Bei heutigen kommerziellen Kernkraftwerken geht die Bandbreite von etwa 1.000 MWel (Westinghouse AP-1000) bis über 1.600 MWel (Areva EPR) elektrischer Leistung. In Planung sind bereits noch größere Reaktoren. Warum sollte dieser offensichtlich erfolgreiche Trend also unterbrochen oder gar umgekehrt werden?
Marktpotential
Die Gründe sind ganz ähnlich denen in der Luftfahrt: Wenn man immer größere Flugzeuge verkaufen will, muß man auch dauerhaft entsprechend viele Fluggäste haben. Nicht jede Linie ist geeignet und bei mangelnder Auslastung kehrt sich der vermeintliche Kostenvorteil schnell ins Gegenteil um.
Schwellenländer
In der Stromwirtschaft gilt immer noch die Regel, daß der größte Block im Betrieb nicht mehr als zehn Prozent der momentanen Gesamtleistung haben sollte. Dies beschränkt den potentiellen Markt auf große Industrieländer, da sonst schnell des nachts und an Feiertagen die Auslastung nicht mehr gewährleistet wäre. Gerade Schwellenländer sind aber an der Einführung oder dem Ausbau der Kernenergie sehr stark interessiert. Wer in diesen Markt will, muß deshalb auch kleine Reaktoren anbieten.
Portfoliomanagement
Für jedes Energieversorgungsunternehmen bedeutet das Portfolio-Management eine immer größere Herausforderung. Genau so wenig, wie ein verantwortungsbewusster Finanzanleger all sein Vermögen in eine Anlage investiert, kann ein Energieversorger auf nur eine Art der Stromerzeugung setzen. Lediglich staatliche Versorger glauben die nötige Risikoprämie ausblenden zu können, da sie meinen, jederzeit die Steuerzahler in Geiselhaft nehmen zu können. Wenn man nun auch noch berücksichtigt, daß in marktwirtschaftlichen Systemen stets mehr als ein Anbieter vorhanden ist, kann man aus o. g. Gründen nachvollziehen, wie beschränkt die optimale Blockgröße nur sein kann. Selbst wenn große Blöcke vertretbar sind, kann die verringerte Vorfinanzierung durch allmählichen Zubau höchst lukrativ sein. In diesem Sinne ist auch das „modular“ in der Abkürzung SMR (Small Modular Reactor) zu verstehen. Zumindest ein Anbieter geht davon aus, einen „Großreaktor“ durch den sukzessiven Zubau von bis zu acht SMR zu realisieren.
Ersatz alter Kohlekraftwerke
In nächster Zeit ergibt sich ein bedeutendes internationales Marktpotential durch die notwendige Ausserbetriebnahme alter Kohlekraftwerke. Historisch bedingt, bewegen sich diese in der Größenordnung einiger hundert MWel pro Standort. Will oder kann man dort keine neuen Kohlekraftwerke mehr bauen, so könnte man doch preisgünstig die vorhandene Infrastruktur mit SMRs weiter nutzen. Wie teuer allein der Netzumbau ist, zeigt sich gerade in Deutschland mit seiner Energiewende. Zumindest in China und USA wird dieses Konzept mit Nachdruck verfolgt. Ziel ist es, die dadurch frei werdenden Kohlenmengen für z. B. die Produktion synthetischer Kraftstoffe nutzbar zu machen. Interessanterweise wird dieses Konzept, von zahlreichen „Umwelt- und Klimaschutzorganisationen“ in den USA massiv unterstützt. In China dürfte eher die Luftverschmutzung und die (gewünscht und geförderte) Motorisierung Pate sein.
Mehr Öl durch SMR
Damit sind wir bei der letzten — und vielleicht am schnellsten realisierten — Anwendung kleiner Reaktoren. Die Förderung von Öl und Gas findet in immer weiter abgelegenen Regionen und mit immer höherem Energieaufwand statt. Der hierbei verbrannte Eigenbedarf setzt die verkaufbare Fördermenge herab. Aus diesem Grunde sind die ersten zwei Kleinreaktoren in Rußland bereits im Bau. Aber auch die Mineralölkonzerne sehen die Kernenergie nicht länger als lästige Konkurrenz, sondern eher zur Abdeckung des Eigenbedarfs.
Kerntechnische Besonderheiten
Aber noch einmal zurück zum Ausgangspunkt. Wenn immer größere Kraftwerke, zu immer geringeren Produktionskosten führen, wie sollen dann SMR konkurrenzfähig sein? In der Presse liest man immer die einfache Antwort: Durch Massenproduktion. Wenn die „Massenproduktion“ so einfach physikalische Gesetze überwinden könnte, hätten wir dann nicht längst Kleinraffinerien, kleine Hüttenwerke usw. an jeder Ecke? Ganz offensichtlich war „small is beautiful“ nichts weiter als ein erfolgreicher Werbeslogan.
Baukosten und Baustellenkosten
Kernkraftwerken geht der Ruf hoher Investitionskosten voraus. Es lohnt sich deshalb, einmal die Ursachen etwas näher zu beleuchten. Von der Entscheidung ein neues Kernkraftwerk zu bauen, bis zur ersten Stromproduktion, vergehen heute in den etablierten Ländern 10 bis 15 Jahre. Das bedeutet nichts anderes, als daß z. B. die Planungskosten über den gesamten Zeitraum vorfinanziert und damit laufend verzinst werden müssen. Selbst bei einem Zinssatz von nur fünf Prozent, haben sie sich nach 15 Jahren bereits verdoppelt. Wer Kosten sparen will, muß also schnell bauen. Wie fatal sich die Bauzeit auf die Stromgestehungskosten auswirkt, kann man heute durch den Vergleich mit China sehen: Baugleiche (!) Reaktoren der Generation III+ (Areva EPR oder AP-1000) werden in China wesentlich schneller fertiggestellt. Menetekel für den Industriestandort Europa sind die Areva-Baustellen eines EPR in Olkiluoto, Finnland und Taishan, China.
Bei beiden Projekten werden die Kernkomponenten (noch) nicht in den Ländern gefertigt, sondern komplett importiert. Ursache für den gewaltigen Preisunterschied sind also die Baustellenkosten. Bei Kernkraftwerken heutiger Bauweise fallen etwa 70 % der Baukosten auf der Baustelle an. Arbeiten auf einer Baustelle sind grundsätzlich teurer als in einer Fabrik. Dies gilt ganz besonders in der Kerntechnik, mit ihrem besonderen Prüf- und Dokumentationsaufwand. Wer also Kosten sparen will, muß möglichst viel, möglichst komplett, vorfertigen und schon in der Fabrik testen.
Wie klein sind SMR?
Als SMRs werden heute Reaktoren mit einer elektrischen Leistung von etwa 45 bis 300 MWel bezeichnet. „Klein“ ist also auf diesem Gebiet sehr relativ. Die Definition hat einen anderen Ursprung: Sie sollen geometrisch so klein sein, daß sie sich noch mit der Eisenbahn transportieren lassen. Es wäre damit möglich, sie komplett in einer Fabrik zu fertigen und zu testen und sie nahezu einsatzbereit zu der Baustelle zu transportieren. Hiermit wäre ein Quantensprung in der Bauzeit und damit in den Finanzierungskosten verbunden. Ein Energieversorgungsunternehmen könnte wie eine Fluggesellschaft agieren: Definierter Liefertermin zu garantierten Kosten in akzeptabler Zeit.
Zusätzliche Sicherheit
Wenn man Dampferzeuger, Druckhalter und Umwälzpumpen mit in das Druckgefäß packt, spart man eine Menge Rohrleitungen und Schwachstellen. Dies ist durchaus nichts neues, sondern bei Schiffen seit Jahrzehnten erprobt. Da man wegen der Transportierbarkeit zu einer eher länglichen Bauform kommt, bietet es sich an, das Teil komplett in die Erde zu versenken. Man hat damit gegenüber einer konventionellen Bauweise einen natürlichen Schutz gegen Einwirkungen von außen (Flugzeugabsturz, Terror etc.) Manche Konzepte gehen sogar davon aus, das Containment dauerhaft mit Wasser zu füllen. Man erhält so eine sehr gute Abschirmung gegen Strahlung, eine Filterwirkung bei Störfällen und eine „ewige Kühlung“ zur Abfuhr der Nachzerfallswärme. Alles in allem, kann man von einer um ein bis zwei Größenordnung verringerten Eintrittswahrscheinlichkeit eines schweren Reaktorunfalls ausgehen.
In diesem Zusammenhang ist auch mit geringeren Kosten für die nötigen Versicherungen (Haftpflicht, Betriebsausfall) und einem geringeren Wartungsaufwand zu rechnen. Inhärente Sicherheitssysteme brauchen keine Wiederholungsprüfung. Je mehr Komponenten im Sinne der Kerntechnik nicht mehr sicherheitsrelevant sind, um so mehr kann (wieder) auf konventionelle Produkte und Hersteller zurückgegriffen werden. Es gibt in einem Kernkraftwerk unzählige Bauteile, die mit frei erhältlichen Teilen vollkommen identisch sind, aber einen drei bis viermal so hohen Preis haben. Der berühmt gewordene Dübel ist wahrlich kein Einzelfall. Ursache sind die Kosten für die Zulassung und der sprichwörtliche Dokumentationsaufwand.
Wohin geht die Reise?
Prinzipiell läßt sich jeder Reaktortyp auch klein herstellen. Wegen der erzkonservativen Einstellung der Genehmigungsbehörden — man könnte auch sagen: Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht — wird man sich nur wenig von Bekanntem entfernen. Zumindest in den USA sind Leichtwasserreaktoren favorisiert. Damit kennt sich die Genehmigungsbehörde aus und man kann auf langjährige Erfahrungen aus dem Schiffbau zurückgreifen. Schließlich hat allein die US-Marine über hundert Reaktoren in Betrieb. Wer sich für die gerade staatlich geförderten Konzepte von Westinghouse und B&W interessiert, sollte nicht versäumen, sich einmal den Reaktor der deutschen Otto Hahn (Stapellauf 1964) anzuschauen. Der hieß damals Fortschrittlicher Druckwasserreaktor (FDR). Vielleicht war er ja wirklich nur einfach vierzig Jahre zu früh?
Die Russen ticken auch nicht so viel anders. Die erste barge mit zwei Druckwasserreaktoren ist bereits in Bau und soll in Sibirien zur Versorgung der Gasfelder dienen. Die Reaktoren sind eine leichte Abwandlung des Typs, wie er auch bei russischen Eisbrechern verwendet wird. Allerdings arbeiten sie auch noch an einem Schnellen Reaktor mit Blei-Wismuth-Kühlung. Eine Weiterentwicklung eines mit mäßigem Erfolg eingesetzten U-Boot-Reaktors. Allerdings bietet dieses Konstruktionsprinzip schon allein wegen der höheren Temperaturen interessante Vorteile.
Und damit wären wir wieder in China angelangt. Die Chinesen haben gerade den Grundstein für einen mit Helium gekühlten Thorium Hochtemperatur Reaktor gelegt. Jawohl, es ist die Weiterentwicklung des guten, alten THTR aus Deutschland. Er soll Raffinerien und Chemiebetriebe mit Strom und Wärme versorgen. Das Konzept „Kohle und Kernenergie“ war vielleicht doch nicht so abwegig — meinen jedenfalls die Chinesen. Aus dem gleichen Grund — Erzeugung von Hochtemperatur-Wärme — greifen sie auch das amerikanische Konzept der Salzbadreaktoren wieder auf. Ganz neben bei, kann es auch der „Atommüllentsorgung“ dienen, die in China nicht nur ein Problem der Kernkraftwerke, sondern auch der Kohlekraftwerke und der Produktion Seltener Erden ist, die ja so gut für Windmühlen sein sollen.
In diesem Sinne, könnte man fast meinen, daß das Kernenergiezeitalter erst beginnt. Egal ob sich Deutschland nun „energiewendet“ oder nicht.
Dieser Beitrag wurde zuerst am 28.05.2013 veröffentlicht.