Kategorien
Atommüll Endlager Plutonium Proliferation Purex Pyrometallurgisch Reaktortypen Spaltmaterial Uran

„Atommüll“ die 3. ist REMIX

Langsam scheint die Zeit gekommen, die als „Atommüll“ verunglimpften „abgebrannten“ Brennelemente als Energiequelle weiter zu nutzen. Nur zur Erinnerung: Wenn ein Brennelement einen Leichtwasserreaktor verlassen muß, enthält es noch immer rund 95% verwendbares Uran. Es muß halt nur wiederaufbereitet werden. Schrittmacher ist hierbei zur Zeit Russland.

Die Physik im Hintergrund

Wenn Uran oder Plutonium gespalten wird, entstehen Spaltprodukte, Energie und Neutronen. Damit eine Kettenreaktion aufrecht erhalten bleibt, muß ein Neutron einen weiteren Kern spalten. Hier kommt der entscheidende Unterschied: Manche Neutronen spalten den Kern nachdem sie eingefangen worden sind, andere führen nur zur Entstehung eines neuen Isotops. Die Wahrscheinlichkeit dafür, hängt stark von der Geschwindigkeit der Neutronen ab. In der Praxis unterscheidet man zwischen thermischen und schnellen Neutronen. Thermische – möglichst langsame – Neutronen spalten U235 und Pu239 sehr gut, aber z. B. U238 kaum. Demgegenüber spalten schnelle – möglichst mit der Energie ihrer Freisetzung – Neutronen alle Isotopen von Uran und Plutonium, aber mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit. Deshalb benötigen „schnelle Reaktoren“ (mit Blei oder Natrium als Kühlmittel) einen wesentlich höhere Anteil an U235 oder Pu239 als „thermische Reaktoren“ (Leichtwasser oder Schwerwasser als Kühlmittel). Wie gesagt, da sich nicht alle Kerne spalten nachdem sie ein Neutron eingefangen haben, bilden sich in einem Reaktor zahlreiche neue Isotopen von Uran und Plutonium. Jedes neu entstandene Isotop oder Element hat wieder ganz spezifische Eigenschaften bezüglich der Spaltung und damit der Energiegewinnung beim Reaktorbetrieb. Je länger der Brennstoff im Reaktor bleibt, um so höher sind die Anteile von Isotopen höherer Zahl. Im Sinne der Weiterverbreitung von Kernwaffen (Proliferation) unterscheidet man drei Klassen von Plutonium: „Weapons grade“ mit weniger als 7% Pu240, „Fuel grade“ mit 7% bis 19% Pu240 und „Reactor grade“ mit mehr als 19% Pu240. Hier zeichnen sich bereits die drei möglichen Wege der Nachnutzung ab.

Eine wichtige Kennzahl in der Reaktortechnik ist der sogenannte Abbrand, der angibt, wieviele der ursprünglichen Urankerne gespalten worden sind. Seine übliche Einheit ist GWd/tHM (Wärmeleistung in Gigawatt x Tage pro Tonne Schwermetall). Die Wärmeproduktion läßt sich besonders einfach messen. Die Masse der gespaltenen Atome kann man daraus indirekt berechnen. Umgerechnet ergibt das etwa 21 816 kWh Wärme pro gespaltetem Gramm. So werden in einem Reaktor mit 1 GWel pro Jahr (Arbeitsausnutzung 90%, Wirkungsgrad 33%) 1095 kg Uran bzw. Plutonium gespalten. Nur diese Menge in Form von Spaltprodukten ist die „nukleare Asche“, der tatsächliche Abfall. Dies entspricht einem Würfel mit weniger als 40 cm Kantenlänge. Wahrlich eine Menge, die man sicher verwahren kann. Zumal etwa 70% der Spaltprodukte stabil sind bzw. eine Halbwertszeit von unter einem Jahr haben. Lediglich 20% (Cs137, Sr90 usw.) müssen für etwa 300 Jahre sicher gelagert werden.

Der klassische Weg

Seit Jahrzehnten erprobt sind MOX Brennelemente (Mixed oxide). Es handelt sich um Mischungen aus Uranoxid mit 1,5 bis 30 Gewichtsprozent Plutoniumdioxid. Das Mischungsverhältnis hängt vom Reaktortyp ab. Ein Anteil von etwa 7% Plutonium ergibt z. B. einen Ersatzbrennstoff für Leichtwasserreaktoren, der sich ähnlich einem Brennstoff mit auf 3 bis 5% angereichertem U235 verhält. Man kann also durch die Aufbereitung abgebrannter Brennelemente beträchtliche Mengen Natururan und Anreicherungsarbeit sparen. Gleichzeitig verringert man die „Atommüllmenge“ gegenüber der Endlagerung der kompletten Brennelemente.

Damit man MOX-Brennelemente herstellen kann, muß man möglichst reines Uran und Plutonium im richtigen Verhältnis mischen. Dazu ist es erforderlich, die abgebrannten Brennelemente mit dem PUREX-Verfahren (Plutonium Uranium Reduktion Extraktion) aufzubereiten. Dieses Verfahren stammt aus den 1940er Jahren zur Atombombenproduktion. Es ist daher sehr sensitiv für eine Weiterverbreitung von Kernwaffen. Im Sinne einer friedlichen Nutzung der Kernenergie ist der Abfall an langlebigem hochaktiven Abfall nicht besonders förderlich. Man erhält hochreines Plutonium – was die Weiterverarbeitung vereinfacht – aber alle besonders langlebigen minoren Aktinoide landen im Abfall. Man erhält den „berüchtigten“ verglasten hochaktiven Abfall, der unterirdisch gelagert werden soll. Er ist reich an langlebigen 𝜶-Strahlern, die zwar in ihrer direkten Strahlung rech harmlos sind, aber sicher vor der Biosphäre eingeschlossen werden müssen, da sie in den Körper aufgenommen, sehr krebserregend wirken können. Im ersten PUREX-Schritt werden die abgebrannten Brennelemente in heißer Salpetersäure aufgelöst. Dabei bilden sich gut wasserlösliche Salze. Dieses „Salzwasser“ wird im nächsten Verfahrensschritt innig (z. B. in Pulskolonnen) mit einem organischen Lösungsmittel (30% Tributylphosphat aufgelöst in Kerosin) gemischt. Dabei gehen die Uran-Nitrate und Plutonium-Nitrate in die organische Phase über. Nahezu alle Salze der Spaltprodukte und der minoren Aktinoide verbleiben im „Wasser“ – der spätere Atommüll zur Endlagerung. Im folgenden Schritt wird Uran und Plutonium getrennt. Dies geschieht durch den Zusatz eines Reduktionsmittels (z.B. Fe(NH2 S03)2, NH3OHCI), wodurch Plutonium in seinen +3-Oxidationszustand überführt wird, der wieder besser wasserlöslich ist. Um möglichst reines Uran bzw. Plutonium zu erhalten, wird dieser Schritt mehrfach wiederholt.

Weltweit werden heute problemlos MOX-Brennelemente in Leichtwasserreaktoren eingesetzt. Allerdings empfiehlt sich der Einsatz nur einmalig: Die schon vorhandenen höheren Pu-Isotope würden sich mit jedem Durchlauf vermehren, was die Reaktorphysik negativ beeinflussen würde. Die ersten abgebrannten Brennelemente haben nur einen Anteil von etwa 1% Plutonium. Die MOX-Brennelemente aber bereits einen Anteil von mindestens 7% Plutonium. Der hohe Anteil Plutonium führt beim PUREX-Verfahren zu Schwierigkeiten wegen der generell schlechteren Löslichkeit von Plutonium.

Der Weg über schnelle Reaktoren

Ein ebenfalls erprobter Weg der Nutzung abgebrannter Brennelemente ist die Verwendung in natrium- oder bleigekühlten Reaktoren mit schnellem (hochenergetischem) Neutronenspektrum. Man kann sie als „Brüter“ oder „Brenner“ bauen. Der „Brüter“ verwendet überschüssige Neutronen um aus U238 Pu239 zu bilden. Ist damit aber komplexer als ein „Brenner“, der den Brennstoff kontinuierlich verbraucht und deshalb von außen mit neuem Spaltstoff versorgt werden muß. Da sich inzwischen hunderte Tonnen Plutonium weltweit angesammelt haben, erscheint es sinnvoll zuerst nur „Brenner“ zu bauen, da diese zumindest geringere Investitionen erfordern. Mit zunehmender praktischer Erfahrung kann dann bei (eventuell) stark steigenden Preisen für Natururan auf „schnelle Brüter“ erweitert werden.

Für die Wiederaufbereitung ergeben sich bei schnellen Reaktoren ganz neue Möglichkeiten. Ziel ist nur noch die Entfernung der Spaltprodukte, der nuklearen Asche. Alle Aktinoide sollen und können im Produkt enthalten bleiben. Die Frage der Reinheit kehrt sich um: Es ist nicht mehr möglichst reines Uran und Plutonium gefragt, sondern eher möglichst reine Spaltprodukte. Die Abfallmengen werden dadurch sehr klein und sind überwiegend kurzlebig. Ein doppelter Gewinn: Man braucht keine Bergwerke mehr und der Abfall ist wesentlich „ungefährlicher“. Die „Endlagerproblematik“ aus heutiger Sicht verschwindet damit vollständig – ein wesentlicher Punkt bei der „Atomangst“ mancher Menschen.

Seit 2016 ist der Reaktor BN-800 (789 MWel) mit Natrium als Kühlmittel in Russland in kommerziellem Betrieb. 2023 wurden die ersten Brennelemente für diesen Reaktor hergestellt, die neben abgereichertem Uran und Plutonium auch Americium-241 (Halbwertszeit 432,2 a) und Neptunium-237 (Halbwertszeit 2 144 000 a) enthalten. Die minoren Aktinoide werden im Reaktor durch die schnellen Neutronen gespalten. Die entstehenden Spaltprodukte haben recht kurze Halbwertszeiten oder sind sogar stabil. Das ist keine Science Fiction, liebe Atomkraftgegner, sondern eine russische Antwort auf die angeblich ungelöste Endlagerproblematik. Das Kernkraftwerk Beloyarsk 4 verrichtet seinen täglichen Dienst am Netz — auch bei Dunkelflaute.

Der 3. Weg über REMIX


Die heute in Betrieb befindlichen Reaktoren werden wahrscheinlich für 100 Jahre am Netz bleiben – wenn sie nicht von infantilen Bilderstürmern mutwillig zerstört werden. Es ist also durchaus sinnvoll nach Übergangslösungen zu suchen. Sie produzieren in einem Jahrhundert eine Menge abgebrannter Brennelemente und verbrauchen dafür große Mengen Natururan. Beides ein Kostenfaktor. Es ist also durchaus sinnvoll, Wege zur direkten Einsparung zu entwickeln. Ganz besonders wichtig ist dies für Länder, die neu in die friedliche Nutzung der Kernenergie einsteigen (Ägypten, Türkei, Bangladesch). Sie verfügen über keine Anreicherungsanlagen und keine Wiederaufbereitung und sollen und wollen das auch nicht, um sich nicht dem Vorwurf einer nuklearen Aufrüstung auszusetzen. Es ist deshalb kein Zufall, daß gerade Russland sich auf ein Dienstleistungsmodell für Brennstoff bei Druckwasserreaktoren (Typ VVER-1000 und VVER-1200 etc.) konzentriert. Es werden betriebsbereite Brennelemente geliefert, die nach dem Entladen nur so lange im Kraftwerk gelagert werden, bis sie einfach transportierbar sind. Sie sollen dann in Russland wieder aufbereitet werden, was sich als Abtrennung der Spaltprodukte darstellt. Das Resturan und Plutonium wird zu REMIX-Brennelementen verarbeitet, die dem Kunden zur weiteren Nutzung wieder zur Verfügung gestellt werden.

REMIX (von Regenerated Mixture) wird aus wiederaufgearbeitetem Brennstoff aus Druckwasserreaktoren hergestellt. Dabei werden nur die Spaltprodukte entfernt und die Mischung von Uran und Plutonium absichtlich nicht getrennt (Proliferation). Diesem Material wird etwa 20% auf 17% angereichertes Uran zugemischt. Dies ergibt im ersten Durchlauf einen Brennstoff mit etwa 1% Pu239 und 4% U235, der über vier Jahre einen Abbrand von 50 GWd/t leisten kann. Laut dem russischen Hersteller von Kernbrennstoff Tenex kann REMIX bis zu fünf Mal aufgearbeitet werden, sodaß bei weniger als drei Brennstoffladungen im Umlauf ein Reaktor 60 Jahre lang mit demselben Brennstoff betrieben werden könnte. Jeweils mit Zumischung von angereichertem Uran und Abfallentsorgung der Spaltprodukte. Im Vergleich zu Uran-Plutonium-Brennstoff für schnelle Reaktoren (MOX) hat REMIX einen geringeren Plutoniumgehalt von bis zu 5 % und der Brennstoff arbeitet innerhalb der gleichen Parameter wie Brennstoff, der nur aus frischem, niedrig angereichertem Uran hergestellt wird. Das bedeutet, daß ein Reaktor keine Modifikation benötigen würde, um mit REMIX zu arbeiten. TVE baut eine Produktionsanlage in der ausschließlich Roboter die Fertigung übernehmen (Arbeitsschutz). Sie soll 2025 im Siberian Chemical Combine in Seversk in Betrieb gehen und TVS-5-Brennelemente für die neueren VVER-1200-Reaktoren (z. B. Kernkraftwerk Novovoronezh-II) herstellen. Um eine größtmögliche Flexibilität für die Kunden zu erlangen, werden parallel drei unterschiedliche REMIX-Brennelemente mit unterschiedlichem Plutonium-Anteil, sowie ein klassischer MOX-Typ entwickelt.

Auch das keine Science Fiction. Im Kernkraftwerk Balakovo in der russischen Region Saratov werden seit 2021 REMIX-Brennelemente eingesetzt. Die ersten Elemente haben nun drei volle Zyklen von je 18 Monaten durchlaufen. Inspektionen haben keine Beeinträchtigungen der TVS-2M-Brennelemente festgestellt. Inzwischen ist die dritte der 18-monatigen Betriebskampagnen im Gange, wobei der REMIX-Breitstoff 2026 entladen werden soll, bevor er einer genauen Untersuchung unterzogen wird.

Nachwort

Wie unendlich dämlich die Abschaltung der modernen Kernkraftwerke in Deutschland war und die laufende, infantile Zerstörung ist, wird deutlich. Die Konsequenzen für die Stromversorgung sind inzwischen hinreichend bekannt. Aber überhaupt noch nicht diskutiert in den Medien sind die Auswirkungen auf den vorhandenen „Atommüll“. Die Show der Grünen geht hier voll weiter, als wäre nichts geschehen. Es werden die Mengen ins Unendliche aufgeblasen, egal wie stark sie strahlen oder aus welchem Material sie bestehen. Ziel ist ein möglichst großes Lager, selbstverständlich als Bergwerk. Aber das Bergwerk muß natürlich ganz neu gebaut werden. Erforschte und bestens geeignete Bergwerke (z. B. Gorleben) werden vorher erstmal zugeschüttet. Würde man die abgebrannten Brennelemente aufarbeiten, ergebe sich nur eine kleine Menge Spaltprodukte. Sie könnten in Glas eingeschmolzen werden und z. B. in horizontale Bohrungen (z. B. Deep Isolation) an beliebiger Stelle endgelagert werden. Beliebiger Ort, weil man senkrechte Tiefbohrungen bis in eine geeignete Schicht abteufen kann, bis man waagerecht mit den eigentlichen Endlager-Bohrungen abknickt. Alles hunderttausendfach in der Ölförderung erprobt. Das gerettete Uran und Plutonium wäre eine gigantische Energiequelle.